Hastig
hämmerte er auf den
Halteknopf und stieg am Ponttor aus, jenem massiven mittelalterlichen
Torbogen, der einst die Stadtmauer markierte. Die Sonne ging verhalten
auf, dann schob sie sich vor und strahlte auf die dunklen Backsteine.
Balla schlenderte die Straße bergab. Alles war ja voller
Hügel und Berge hier. Die Bib schien auf einen solchen
Chennai-Kämpfer und Eroberer wie ihn zu warten. Er war ja nicht
nur Inder, sondern Tamile! Schon dachte er an Tania und wie sie ihn
empfangen würde. She is my one and only! My girl-friend, my other
half! Summte er die tamilischen Schlager mit ordentlich Schmalz und
Weltschmerz in der Stimme. My one and onleyeyey! Oh Shaaanti,
Shaaaaaanti!
SEITE 8
.. eingebildeten Studenten mit
ihren Extrawünschen, die zehn
Seiten kopierten und nachrechneten, wenn er ihnen ein paar Cents zu
viel berechnete. Und wie sie ihn behandelt hatten, so von oben herab.
Als ob er ihr Sklave wäre! Doch eine hatte es zu weit getrieben
mit ihren Extramaßen und Extrawünschen. Er dann ausgeflippt
und sie angeschrien. Man darf sich wohl noch wehren können! Und
dann mit dem geleckten Chef aneinandergeraten.
SEITE 15
Dutzende Tracks hatte Kanc ihm
gewidmet und ihn mit Flüchen
übergossen, sogar seinen lieben Hund vergiftet. In seinen Tracks
hatte er die Verhältnisse umgekehrt, dann war Kanc der Boss, und
der Chef trug das Halsband des Knechts. Den Titel „Worst Boss of the
Year“ hatte er ihm schon am ersten Arbeitstag gewidmet, gab schon gute
Clickzahlen. Irgendwann würde er Goodbye sagen zu diesem
Horrorladen und dem Paketschleppen und den ständigen Tiraden.
Vielleicht würde er ihm zum Abschluss eine scheuern! Au Hur, das
würde ein legendärer Abgang werden!
SEITE 18
Erst allmählich dämmerte
es ihr, dass sie Dinge aus ihrem
Leben aussortieren musste, an denen vorher ihr Herz gehangen hatte. Wie
viel Schund und Unerklärtes hatte sie angehäuft, sei es im
Leben oder der Liebe! Seitdem die Simplify-Welle über sie
hereingebrochen war, hatte sie ihren Einrichtungsgeschmack radikal in
Zweifel gestellt. Ein Glück, dass sie den Minimalismus entdeckt
hatte! Gina, ihre beste Freundin, war nach Berlin gezogen und hatte sie
sitzen lassen. SEITE 19
Wenn sie abends nach einem langen
Tag voller anstrengender Fototermine
und Hochzeiten ins Bett fiel, fühlte sich das an, als ob sie in
angenehmen Treibsand versinke. Für die Laken hatte sie schlichte
nachtblaue Farbtöne gewählt. Keine Muster, bloß nichts
Aufregendes oder Glänzendes! An die Wände hatte sie
Schwarz-Weiß-Fotografien von Jianni gehängt. Er im Sand mit
seinen dicken, lockigen Haaren und der schneidenden Schärfe im
Blick.
SEITE 23
Eine plötzliche Entdeckerlust
erfasste sie. Wir könnten zum
Beispiel Zabaione-Eis essen! Oder Flammkuchen backen! Oder vielleicht
in den Tierpark und dann Sushi-Essen bei Oishi? Wir könnten ins
Stadttheater, um dieses Stück über verzweifelte Frauen
anzuschauen, von dem ich neulich gelesen habe? Oder mal ins
Kunstmuseum, oder Schweinebingo spielen! Dann sah sie auf einmal unten
an der Straße eine schlanke Gestalt mit einem roten Cowboyhut und
einem mit Dosen verzierten Einkaufswagen.
SEITE 26
Der gläserne Spiegel einer
Bushaltestelle reflektierte seine
dürre Gestalt, den Cowboyhut, die Tarnhose und seinen
prächtigen, mit glitzernden Dosen verzierten Streitwagen. Vor
seinem inneren Auge sah er die Festung des Aachener Doms, des
Rathauses, das steinerne Tor des Pontviertels. Seine Heimatstadt! Er
rückte seinen Hut gerade, glättete seine Wangen und
öffnete zur morgendlichen Stärkung ein erstes Bierchen. Sein
Mund war trocken und taub, sein Geschmack eisern.
SEITE 32/33
Damals wohnte ich im Wohnheim.
Seite an Seite mit 16 Studenten auf
einer Etage, und war doch isoliert wie nie zuvor. In der schlimmsten
Trauerphase waren meine Mitbewohner in mein Territorium gedrungen. Ich
hatte mich schlafen gelegt, um ihrem Lärm zu entgehen. Eines
Nachts kamen sie dann mit ihrer „Studentenpolonaise“ durch den Flur und
hatten meine Zimmertüre gewaltsam geöffnet.
Studentenpolonaise, Studentenpolonaise! Hatten sie gerufen und mich
laut grölend mit ihren Bierfahnen aufgefordert, bei der
traditionellen Küchenparty mitzumachen.
SEITE 34
Und nun stand der
Bewerbungsmarathon des Exponierens und
Sich-Verkaufens bevor. Ich durchforstete meine E-Mails und las die
Reizwörter, die meine Wut tausendfach entfachten: Career Centers.
Ressourcenbäume. Einladungen zu Workshops. Case Studies.
Traineeprogramme. Direkteinstiege. Die ganzen Konzernschummeleien und
Intrigen. Jeder für sich und alle gegen alle.
Begabtenförderprogramme, Stipendien, Sprachschulen, Summerschools.
Ich hatte mich dem Ganzen gestellt und wacker mitgemacht. Ich war um
die halbe Welt gereist. Aber jetzt saß ich auf der Etage fest,
man hatte mich eingesperrt und das Wohnheim war mein Gefängnis.
Mit Abscheu dachte ich an den Berufseinstieg, das Klinkenputzen und die
Schaustellerei für ein arbeitsames, effizienzgesteuertes Leben in
Unfreiheit.
SEITE 37/38
Aber ist heute nicht der Tanz in
den Mai? Fiel es mir ein, während
ich aus dem Fenster über die Hochhäuser Richtung Uniklinik
spähte. Wäre das nicht der richtige Tag, um die weinerliche
Existenz nach dem jahrelangen Martyrium und der monatelangen
Einsiedelei zu überwinden? Sich unters Volk mischen,
Unbeschwertheit, zufällige Gespräche, die Suche nach der
alten Lässigkeit, mal die Sorgen abschütteln, frische Luft
atmen statt vor sich hinzuvegetieren, diese unerträgliche Schwere
und Trauer mit alter Fröhlichkeit überwinden. Man konnte
jederzeit in den Zustand der Finsternis zurückkehren!
SEITE 42
Gottseidank war ihr Weg zur Uni
nicht weit. Sara wohnte im zweiten
Stock des Wohnheims, das sich in Nähe zum Uniklinikum befand. Als
sie zum ersten Mal mit dem Rollkoffer ihren Weg zum Wohnheim gesucht
hatte, war sie erschrocken über dieses Gebäude gewesen. Es
sah aus wie eine gigantische Fabrik mit grauen Stelen in der Mitte,
durchzogen von Schläuchen. Davor war ein grüner
Hubschrauberlandeplatz. Sie konnte das Geräusch des startenden
Hubschraubers bis in ihr Zimmer hören. Die Bäume peitschten
zur Seite, dann schwebte er davon wie ein Adler auf Nahrungssuche.
SEITE 44
Marami hatte Sara in die
Erasmuswelt eingeführt. Sie glaubte,
nein, sie wusste, dass dies die einzigartigste Gruppe war, die jemals
zusammengekommen war. Es gab nichts Schöneres als die Kraft ihrer
Erasmusgang, die es aus allen Landesteilen hierhin verschlagen hatte.
Die geniale Truppe, die sie jeden Tag zum gemeinsamen Essen in der
Mensa, den Tanzabenden und Barbesuchen traf. Sie alle waren noch fremd
in Aachen, nur eins war hier offensichtlich – überall Hombres,
überall wohin man ging, stand man im Mittelpunkt. Wenn sie eine
Party enterten, waren immer alle Blicke auf sie beide gerichtet.
SEITE
48
Doch dies ließ sich mit einer
einfachen Krankmeldung und den drei
Fehlversuchen umgehen. Und schließlich bestand immer die
Möglichkeit, das Fach zu wechseln. Oder er müsste sich zwei
Tage hinsetzen zum Exzerpieren, aber das war noch weit weg, er war noch
nicht einmal in der Phase des Zweitversuches gelandet. Lächerliche
Fachliteratur über Axel Honneth, Labermaß, und Schantal
Mouffe wälzen! Was sollen das für Denker sein, welche mit
jeder Faser die wirklichen Wissenschaften verachten? Pariser Aporia!
Homöostasis! Erstarrung! Und diese Hihi-Weiber! Weiber, Weiber!
Nichts als Geschwätz! Und wie durch ein Wunder erhöhte sich
sein Puls und seine Augen sprangen auf. Denen werde ich es zeigen!
Ach, aber das
Studium war die reinste Form der
Zeitverschwendung!
SEITE 54
Und wo er schon dabei war, galt es,
Best-of-Listen zu erstellen und
nach der Vereidigung (Schwören Sie, Simon Sermonowitsch, hoch und
heilig, einzig Ihren Verstand zu gebrauchen …) vor dem einfachen Volk
zu verteidigen. Was waren die besten Filme des Jahrhunderts?
Spannungsgeladen, voller Suspense mussten sie sein. Welche Serien
gehörten dazu? Was macht überhaupt eine gute Serie aus? Was
unterscheidet sie von schlechten?
Und so hatte er
sich in seinen nächtlichen
Rausch hineingesteigert. Allmählich war die Zeit reif, in die
Wissenschaftsarena zu wechseln, eine Mischung aus Amphitheater und
Stierkampf, wo ein ziemlicher Tumult von den Rängen herrschte. Nur
er konnte für Ruhe sorgen.
SEITE 57
Zur Abkühlung noch ein kurzer
Gastauftritt bei den
Quantenmechanikern. Ein kleines Schlussplädoyer, in dem er nochmal
die gesammelten Erkenntnisse der Mikro- und Makrosphäre in
Beziehung zueinander brachte. Und dann begann er sich langsam
zurückzuziehen, um einfach nachzudenken, begleitet vom Abklingen
eines Rausches, einfach mal die Gedanken vor sich hinplätschern
lassen.
Nachdem er sich
intellektuell ausgetobt hatte,
war es an der Zeit, die MMA-Arena zu betreten, um sich mit den
weltbesten MMA-Kämpfern zu messen.
SEITE 59
Vadim hatte mit allen kurz
gesprochen, aber dann hatte er Ruxandra
ausgewählt! Sie wäre fast vor Stolz geplatzt! Vor allen
anderen! Willst du eine Spritztour machen? Sie hatte gezweifelt, was
würde ihre Mutter sagen? Wie immer hatte ihre Neugier gesiegt, und
sie also die Tasche gepackt. Sie wollte Vadim nicht warten lassen. Sie
ließ sich gerne von ihm befehlen, sie liebte diesen
unzweifelhaften Befehlston in Vadims Stimme, der ihr jede Entscheidung
abgenommen hatte. SEITE 64
Die Autobahnfahrt war zu Ende und
sie gelangten zu der unbekannten
Wohnung. Vadim hatte sich, ohne große Worte zu verlieren,
verabschiedet. Stattdessen hatte er ihr Highheels und Höschen in
die Hand gedrückt, die sie gerade zum ersten Mal anprobierte. So
war Vadim, er sprach wenig und ließ seine Taten sprechen.
SEITE 66
Kris nickte dazu. Theorie muss
indirekt sein, ergänzte er. Direkt
klappt bei mir nicht. Und zu Big B gewandt: Don’t be too pushy! You
should not push!
Jetzt wieder Addy: Wir
müssten das mal versuchen mit
den Nummern, einfach just-for-fun, nur um der Soft Skills wegen! Da
brauchste kein Studium für! Die größten Henker kriegen
die hübschesten Frauen, so ist das nun mal.
Apropos, da vorne, die ist der
Hammer. Sechser im Lotto, super Body, megahübsches Face. Und sie
kommt rüber!
Natalie! Grüßte Kris und
Balla schaute verzweifelt aus der
Wäsche. Und dann kam auch noch Charlotte. Mit rollenden Augen und
heiserem „Hiiiiiiii“.
Charlotte,
Lehramtsstudentin, 24, erklärte
Kris, als die Blondine in den Tiefen der Bib verschwunden war. Findest
du beim Kontakthüpfen. Sie macht auch Kitesurfen.
Solides
Material, da kann man mit arbeiten! Rief
Addy. Bisschen Erbgut austauschen!
SEITE 69
I’m not black! You are more black
than me! Konterte Balla
wutentbrannt. Ich bin doch nicht schwarz! Give me your hand! Let
us make a comparison!
What the heck,
no! You are more black!
You are more
black!
Nein, mach dir
keinen Kopf, Bruder! Beschwichtigte
Addy. Wir sind Schwarzasiaten. Asiaten werden niemals alt, weißte
doch!
Asians get never
old, wiederholte Big B mit einem
feinen Lächeln, nahm die Brille ab und massierte seine
Augäpfel. But I guess Germans don’t like me. I guess they don’t
like black Indians! Why didn’t I go to the US or Canada? Dann begann er
wieder, nach Tania Ausschau zu halten.
SEITE 72
Und so fühlte er sich mittlerweile wie der König von
Aachen! Aus dem Sozialphobiker war ein Partylöwe geworden,
theoretisch konnte ihm niemand das Wasser mehr reichen, jetzt musste er
nur noch den Real-Life-Approach verbessern. Er sah schon das
steinerne Tor und erreichte das bekannte Café Madrid, an dem
meist Mittwoch die Fetzen flogen. Unter den überdachten
Tischgemeinden tranken sich die ersten Sets beim Pregame für den
Abend in Stimmung. Kris zögerte und wäre fast alleine zu
einer Mädelsgruppe gegangen. Bisschen Street Game, soll
ich? Unschlüssig blieb er vor der Werbetafel stehen und
prägte sich das Partyprogramm der nächsten Wochen ein.
Salsanächte, Remmidemmi, Biologenparty, 70er-, 80er-, 90er-Party.
Sogar auf die Ahoi-Party konnte man gehen, solange einen nur niemand
von der Bib dabei erwischte.
SEITE 162
Und? Full Close??? Did you seal the
motherfucking deal? Oder bist du sogar in Beast Mode gekommen?
Hat leider nicht geklappt, Cockblock! Vielleicht lag
es am Sniper Neg?!
Die Prinzessinnen hier verstehen echt keinen
Spaß!
Das sowieso! Aber irgendwie war ich nicht richtig im
Game, ich muss einfach den Close verbessern!
Vielleicht hast du schon Reverse Oneitis?
Vielleicht muss ich mein Skillset wieder erweitern!
SEITE 178/179